Tuesday Post 24 März 2020
Dieses System hat bei vielen eine Denkweise entwickelt, in der so etwas wie Empathie, Mitgefühl und Respekt für den Nachbarn, den Fremden, den Schwachen nicht existiert. Es heißt ja, in Notsituationen zeige sich der wahre Charakter. Dann aber mal los!
Gesellschaft funktioniert so nicht, indem jeder das tut, worauf er gerade er Lust hat. Wann haben wir nur den Sinn für Solidarität, fürs Aufeinander-acht-geben, für Rücksichtnahme verloren? Irgendwann muss es passiert sein. Irgendwann in den letzten Jahren hat sich in unserer Gesellschaft die Ich-zuerst-Haltung als maximale und beinahe einzige Losung durchgesetzt. Hauptsache, ich mache das, was mir gefällt. Ob man schadet, ausbeutet oder zerstört? Interessiert nicht. Der Wohlstand hat bei vielen den Blick auf die Mitmenschen verstellt. Der Diskurs der Gesellschaft bestand vor allem daraus, Trophäen des egoistischen Tuns abzufeiern. Für andere ist da erst einmal kein Platz. Verzichten? Ich doch nicht? Warum auch? Die Zeche zahlen ja andere.
Und nun ist da plötzlich dieser Virus, der viele Menschen qualvoll zurücklässt, weil sie wie Schulanfänger lernen müssen, wie das so funktioniert mit dem Verzicht Auf den Urlaub, auf das Feiern, aufs Shoppen, aufs neueste Handy, auf den Fußball, aufs Theater. Wir müssen uns einschränken. Es wird leiser, maßvoller und ernsthafter. Und das ist angesichts der vielen Toten, nur richtig. Die Zeit des Verzichts wird länger anhalten. Das wird uns alle Kraft, Ausdauer und Geduld kosten. Doch wir werden in der nächsten Zeit dafür wieder andere Dinge mehr in den Vordergrund treten lassen. Dinge, die wir in den letzten Jahren vernachlässigt haben. Den Blick aufs Gemeinwohl, das Interesse für den Nachbarn, das Kümmern um die Familie.
Man hätte sich es das nicht ausdenken können: In einer Gesellschaft, in der viele ihr Handeln nur noch nach rein egoistischen Motiven ausrichteten, ist man nun sich selbst überlassen. So als ob uns vor Augen geführt werden sollte: Ihr wollt alle nur noch an euch selbst denken, na dann spürt mal, wie das ist, so ganz allein. Ausgangssperre, Kontaktverbote, Isolation, Quarantäne. Und wir merken, wie abhängig wir von sozialen Kontakten sind. Dass wir nicht ohne Umarmungen können, wie sehr wir es lieben, mit anderen Menschen zusammenzukommen, wie sehr wir ihren warmen Blick, ihr liebevolles Tätscheln, ihren vertrauten Geruch brauchen. Und dass das ganze Leben weniger wert ist, wenn wir es nicht mit unseren Nächsten teilen können.
Wir erleben gerade, worauf es wirklich ankommt. Und das sollten wir in die Zeit nach der Krise mitnehmen. Wir haben die Chance, in der Zukunft ein Stück weit das Zusammenleben, die Prinzipien des Miteinanders neu zu gestalten. Und dazu gehört es hoffentlich, dass egoistisches, unmenschliches, unsolidarisches Handeln und Denken nicht mehr salonfähig ist.
Lasst uns Menschen, die offensichtlich auf Kosten anderer leben, nicht mehr zu den Helden unserer Gesellschaft machen. Sie haben es nicht verdient, sagt ein nachdenklicher Mounir.