Tuesday Post 19 November 2019
In meinen Coachings als auch in meinem Umfeld habe ich ab und an mit Müttern zu tun, die sich unter dem Druck, Arbeit, Familie und Persönliches unter einen Hut zu bekommen, zerreißen.
Das Gefühl, die perfekte Mutter, Ehefrau und Berufstätige oder anderes sein zu müssen, bringt sie manches Mal an den Rand des Zusammenbruchs. Es ist für sie nicht leicht, mit den Ansprüchen, die vom Umfeld, von der Gesellschaft und von ihnen selbst, ausgeübt werden, umzugehen.
Man will ja nur das Beste für das Kind oder die Kinder. Das heißt, eine optimale Förderung in der Schule, ein perfektes Programm für Freunde und Familie sowie Unterstützung bei Freizeitaktivitäten, damit das Kind seine Talente ausbilden kann und nicht zum Außenseiter wird.
Viele Mütter haben das Gefühl, dass das Meiste an ihnen hängenbleibt. Sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht fällt schwer, weil doch rundherum alle „anderen“ das so wunderbar hinkriegen. Die Väter tappen oft in die gleiche Falle, schaffen es, nach meinem Empfinden, im Generellen aber besser, sich abzugrenzen und für sich zu sorgen. Daran sollten sich die Mütter ein Beispiel nehmen und sie noch mehr in die Pflicht nehmen, damit auch sie „ihren“ Raum bekommen.
Doch insgesamt leiden sowohl Väter und Mütter unter dem selbst auferlegten Druck, alles „perfekt“ hinkriegen zu wollen., wie ich finde. „Mein Kind soll es besser haben“, „nur das Beste für mein Kind“ oder „aus denen soll mal was werden“ sind so Sätze, die in dem Zusammenhang gerne mal fallen. Dabei vergisst man dabei, dass die Kinder nichts davon haben, wenn die Eltern in die Grätsche gehen. Nur wenn es ihnen gut geht, können sie auch gut für die Kinder sorgen. Doch ein gesunder Egoismus ist schwer, wenn der soziale Druck das als „Geht ja gar nicht!“ verurteilt.
Bei alleinerziehenden Müttern erlebe ich manchmal, dass Väter ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. So als ob ihre Rolle gegenüber den Kindern nur dann zu 100 Prozent ausgefüllt werden muss, wenn gewisse Parameter erfüllt sind. Nein! Mit der Geburt hat man eine sofortige und bedingungslose Verantwortung übernommen. Auch das ist eine Wahrheit.
Ich selbst habe eine Mutter gehabt, die sich aufgrund ihrer verschiedenen Rollen zerrissen hat. Vielleicht erzähle ich deshalb mal, wie das früher war. Denn wenn ich all das sehe, was Eltern bewerkstelligen, damit ihre Kinder einem Ideal entsprechen, frage ich mich tatsächlich, wie aus mir jemand werden konnte, der sein Leben bis hierhin einigermaßen meistern konnte. Gemessen an den Ansprüchen heutiger Eltern wuchs ich in den 70-ern wahrscheinlich in asozialen Verhältnissen auf.
Ich wurde ja in Leipzig geboren. Meine Mutter, eine echte Sächsin und Chemielaborantin, musste mich nach nur wenigen Wochen in eine Wochenkrippe geben, um ihre Arbeitsstelle zu behalten. Kurze Zeit später, nach der Ausreise in den Westen, sprang eine Pflegefamilie ein, die mich von Montag bis Freitag beherbergte, weil die Arbeitszeiten nicht mit der Erziehungsarbeit meiner Mutter kompatibel waren, wir aber dringend das Geld brauchten. Mein Vater, Diplom-Sportlehrer in spe, war aufgrund seines anspruchsvollen Studiums in einer anderen Stadt und verschiedener Jobs, die er – wegen des Geldes – annehmen musste, in dieser Zeit viel unterwegs, Ich will damit nicht sagen, dass das der Idealzustand war, aber es war einfach die beste Version, die meine Eltern aufgrund der äußeren Umstände von sich geben konnten. Sie mussten das ja alles irgendwie hinkriegen. Ich hatte ziemlich viele Freiheiten. Ich ging als Kind am frühen Nachmittag raus und keiner wusste, wo man war, was man trieb, mit wem man sich schlug oder raufte. Manchmal kam man nach Hause und hatte ein Loch im Kopf. Nie standen meine Eltern am Schlittenberg, an der Tischtennisplatte, auf dem Bolzplatz oder an meiner Grundschule. Das wollten wir auch gar nicht. Selbst zum Kindergarten war ich mit 5 Jahren allein gelaufen. Wollte ich zu Freunden musste ich sehen, wie ich da hinkomme. Und wenn es regnete und wir nicht auf den Spielplatz oder aufs Fahrrad konnten, saßen wir stundenlang unter dem Balkon und vertrieben uns irgendwie die Zeit.
All das hat mich dennoch zu einem normalen Jungen gemacht. Glaube ich. Und ich danke meinen Eltern bis heute für jeden Tag, den sie für mich da waren. Ja, es waren andere Jahre. Ja, man muss aufpassen, die Vergangenheit nicht zu verklären.
Doch manchmal wünsche ich den Eltern 2.0. von Herzen den Pragmatismus der Eltern 1.0. Also, Leinen los, ein wenig mehr an Unperfektheit und Egoismus, damit das Rennen, das sich aktuell viele der Best-of-Eltern leisten, an Tempo verliert, sagt ein nachdenklicher Mounir.