Tuesday Post 15 Oktober 2019
Sono ist Inder. Und das sieht man ihm auch an. Er arbeitet in einem Mega-Store für Ski- und Radverleih, Souvenirs und Sportutensilien in St. Johann im wunderschönen Pongau in Österreich. Direkt neben dem Geschäft geht es hoch zum Gernkogel auf 2300 Meter. Bergidylle pur. Wir wollen ein E-Bike ausleihen und in der Region herumradeln.
Sono sieht unsere fragenden Blicke, kommt strahlend auf uns zu und fragt im besten Pongaurisch, ob er weiterhelfen könne. Ich bin ein wenig überrascht, wie stark Sono Dialekt spricht, lasse mir das aber nicht anmerken. Er zeigt uns die Räder und wir kommen ins Gespräch.
Sono erzählt von Neu-Delhi, wo er geboren wurde und dass er zweijährig mit seiner Familie nach Saalbach kam. Er erzählt davon, wie er schon immer der „besondere“ Junge war, weil er anders aussah als die anderen. Dass er als Ministrant zu Weihnachten immer den dunklen Balthasar spielen sollte und viele Kinder ihn immer nur von weitem anglotzten, aber nie näherkamen. Er erzählt davon, wie er manche Jobs nicht bekam, weil er am Telefon zwar wie ein Einheimischer sprach, aber in Realität nicht wie einer aussah.
Er erlebt selbst heute noch Kunden, die ins Geschäft kommen und schnurstracks wieder rausgehen, wenn sie ihn erblicken. Menschen sprechen ihn mit Satzbrocken an, weil sie ihm nicht zutrauen, dass er ihre Sprache kann. Als 2015 die Flüchtlingswelle aus dem Süden kommt, erlebt er auch im Bekanntenkreis, im Ort fremdenfeindliche Gedanken und Reden. Menschen, die er gut kennt, machen ihm klar, du gehörst nicht hierher, Er überlegt, das Land zu verlassen. Der tägliche Kampf gegen Vorurteile, missgünstige und böse Blicke, Abwehr und Rassismus ermüdet ihn. Er denkt an seine Tochter. In welcher Welt soll sie aufwachsen? Doch er entscheidet sich zu bleiben. Denn es ist auch „meine Heimat“, sagt er. Und wer entscheidet darüber, wer welchen Fleck auf dieser Erde zu seiner Heimat macht? Sono will nicht kleinbeigeben, denn das hieße den Rassisten Platz zu machen.
Wir reden und reden und stellen fest, wie gut es tut, wenn man spürt, dass man nicht allein ist. Welchen Rückenwind es gibt, wenn man auf Menschen trifft, die die gleichen Werte haben. Schon fühlt man sich nicht mehr so allein. Es ist einfach: Wir brauchen den Zuspruch anderer, wir benötigen die Energie Gleichdenkender, um zu überleben.
Am Ende tauschen wir unsere Nummern aus. Wir merken: Wir sind Brüder vom gleichen Stamm. Eine Wellenlänge. Eine Weltanschauung. Eine Denkweise. Ich bin sicher, dass wir uns wiedersehen werden. Ob in St. Johann oder in Frankfurt. Bis dahin wird Sono weiter bei vielen Kunden die irritierten Blicke wahrnehmen und sich immer wieder von neuem drüber hinwegsetzen. Vielleicht ist das sein Auftrag: Der Welt im Pongau zeigen, dass man sich von seinen eingefahrenen Bildern im Kopf verabschieden muss. Deshalb lasst uns jeden Tag von Neuem unsere Schubladen im Kopf aufmachen und leeren. Denn nichts ist so wie es scheint, sagt ein nachdenklicher Mounir.