Tuesday Post 09 Juni 2020
Gestern saß ich mal wieder länger im Auto. Ab und zu mag ich das richtig. Die Landschaft saust vorbei, man ist mit seinen Gedanken allein, weil nichts und niemand stört. Man kann auch wunderbar Musik hören und laut mitsingen oder aber dem Radio lauschen und es hochinteressant finden, wer da was alles so von sich hingibt.
Ich blieb gestern an einer Nachricht hängen. Einer Nachricht, die eigentlich keine war, weil das Geschehnis so oft vorkommt, dass es meist keine Erwähnung erlangt.
Es ging um einen Verkehrsunfall. Eine Frau kam am Gießener Südkreuz zu Tode. Sie war mit einem anderen PKW zusammengestoßen. Als sie aus dem Auto trat wurde sie von einem nachkommenden Wagen erfasst und getötet. Ein Ereignis, was täglich in Deutschland vorkommt. In diesem Land sterben schließlich jährlich über 3000 Menschen im Verkehr.
Wir registrieren so etwas meist mit einem Schulterzucken. Was soll man auch dazu sagen? Das ist nun mal so. So lange man kein Opfer oder keinen Beteiligten kennt, nicht selbst verwickelt ist bleiben diese Zahlen abstrakt. Und das hat ja auch seinen Sinn. Denn die allermeisten von uns setzen sich täglich in ihr Gefährt. Da will man sich nicht ständig mit der Möglichkeit eines tödlichen Unfalls auseinandersetzen Das würde keine große Hilfe sein.
Mich ließ die Nachricht dennoch nicht los. Ich stellte mir die Frau vor, wie sie am Morgen aus dem Haus ging, eventuell ihrem Lebenspartner noch ein „tschüss“ zurief, in ihr Auto stieg und losfuhr. Vielleicht war sie zu einem geschäftlichen Termin an diesem Montag unterwegs, vielleicht besuchte sie eine liebe Freundin oder ihren Vater. Vielleicht wollte sie auch nur zu einem Baumarkt in der nächsten Stadt oder zur KFZ-Zulassungsstelle.
Sie fuhr los und kehrte nicht mehr zurück. Das Leben – einfach vorbei. Von der einen Sekunde zur nächsten. Keine Worte des Abschieds, kein letztes Mal für irgendwas, kein Brief, in dem Dinge stehen, die man schon immer sagen wollte. Freunde, Familienangehörige, Kollegen werden fassungslos die niederschmetternde Nachricht aufnehmen. Sie müssen ab sofort lernen, mit diesem Verlust zu leben, der Schmerz dabei endet nie.
Man hatte sich doch noch so viel zu sagen. Aus und vorbei. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Und genau dieser Gedanke machte mich so traurig. Dass es vielleicht ein Ende in diesem Leben gibt, ohne dass man etwas Wichtiges geäußert hat, ohne dass man sich bei einer wichtigen Person entschuldigte, ohne dass man jemand Bestimmtes sagte „ich habe dich lieb“, ohne dass man mit sich im Reinen ist. „Das hat ja noch Zeit“, „das muss ich noch machen“, „da kommt schon eine Gelegenheit“ sind Sätze, die wir uns ja so oft sagen.
Doch was, wenn nicht…?
Kein schönes Thema, aber ein wichtiges. Man sollte sich deshalb hin und wieder die Frage stellen: Gibt es etwas in meinem Leben, was offen ist, was ich jemanden noch sagen will? Natürlich sollte man davon ausgehen, dass man noch viele, viele Jahre pudelmunter und gesund bleibt. Aber mal angenommen, dass das nicht der Fall sein würde? Was würde man auf dem Herzen haben?
Gedanken wie diese lohnen sich. Denn dieses Leben hat manchmal Dinge für uns parat, die wir nicht wahrhaben wollen. Also, vielleicht keine so schlechte Idee, hin und wieder mal zu überlegen, wem man was mitteilen möchte. Es ist ein befreiendes Gefühl, Dinge, die in einem schlummern, auszusprechen und damit im Hier und Jetzt eine Freude zu machen. Für sich und andere, sagt ein nachdenklicher Mounir.