RASSISMUS IM SYSTEM
Natürlich verurteilst du alle Gewalttaten, die gegen Menschen anderer Hautfarbe gerichtet sind.
Natürlich hast du ein schwarzes Bild auf deinen sozialen Kanälen gepostet als George Floyd in den USA bei einem Polizeieinsatz ums Leben kam.
Natürlich hast du in deinem Freundes- und Bekanntenkreis Menschen unterschiedlichster Herkunft.
Rassisten, das sind Nazis, das sind glatzköpfige Rechte oder andere dumme, verbrämte Menschen, die aufgrund ihrer Probleme alles Fremdartige hassen. Sie haben nichts in deiner Lebenswelt zu suchen.
Du bist anders.
Du fragst weder Schwarze noch Dunkelhäutige, wo sie denn eigentlich, also „wirklich“ herkommen.
Du sprichst es direkt an, wenn jemand in einer Unterhaltung Wörter wie „Bimbo“, „Affe“ oder Neger“ benutzt, um People of Color zu bezeichnen.
Du fasst keinem schwarzen Mann und keiner schwarzen Frau in die Haare, weil sich das so besonders anfühlt.
Du wechselst nicht in der Nacht die Straße, weil ein Schwarzer dir auf dem Bürgersteig entgegenkommt.
Du vergleichst die Hautfarbe einer schwarzen Person nicht mit allem, was in der Welt braun oder schwarz ist.
Du sagst nicht „Schwarzafrika“, weil das ein Begriff aus der Kolonialzeit ist und du ja auch nicht „Weiß-Europa“ sagst.
Du erwartest nicht weniger Leistung, weil jemand Murat statt Max heißt.
Du redest keine schwarzen Menschen in der Straße automatisch auf Englisch an.
Du sagst nicht „Neger“, „Mohr“ oder „Zigeuner“, weil sich Menschen durch diese Fremdbezeichnung abgewertet fühlen.
Du vermietest deine Wohnung selbstverständlich auch an Menschen, die schwarz sind oder Namen haben, die die ausländisch klingen.
Du hast nichts dagegen, dass deine Kinder asiatische, afrikanische oder arabische Lebenspartner haben.
Wenn jemand behauptet, schwarze Männer hätten im Durchschnitt ein längeres Glied als weiße Männer, dann weist du ihn darauf hin, dass das Bullshit ist, weil alle nennenswerten Studien zeigen, dass das nicht stimmt.
Du fragst Menschen, die hier geboren und aufgewachsen nicht, was sie von Entwicklungen in ihrem „Heimatland“ halten, denn damit würdest du ja nicht Deutschland meinen.
Du fragst Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, nicht, was sie von dem Verhalten ihrer „Landsleute“ halten, denn damit würdest du nicht weiße Deutsche meinen.
Du lachst über keine Witze, die sich über Hautfarben, Kulturen oder Nationalitäten lustig machen.
Du sagst zu Betroffenen von rassistischen Witzen nicht: „Jetzt stell dich doch nicht so an.“
Du sagst nicht „Du siehst aber gar nicht deutsch aus“, weil damit eine Vorstellung vom Deutsch-Sein verbunden ist, aus der das Schwarz- oder Dunkelsein ausgeschlossen ist.
Du lobst Menschen nicht, dass sie gut Deutsch sprechen, nur weil sie nicht dem Stereotyp eines weißen Deutschen ähneln.
Du denkst nicht, dass Schwarze von Natur aus weniger intelligent sind als Weiße.
Du findest nicht, dass der Kolonialismus eine tolle Sache für all die „Wilden“ war
Wenn du jemanden einstellen willst, ist dir die Herkunft egal.
Für dich ist die Vielzahl an Kindern in ärmeren Regionen der Welt ein Ergebnis vieler sozialer, gesellschaftlicher Faktoren und hat für dich nichts mit einem biologischem Merkmal zu tun.
Du wunderst dich, dass die Angabe eines türkischen Namens bei Bewerbungen die Chance auf ein Vorstellungsgespräch um bis zu ein Viertel reduziert.
Du kannst es dir nicht erklären, dass Kinder aus Zuwandererfamilien bei vergleichbarer Leistung eine geringere Chance haben, von ihren Lehrkräften eine Gymnasialempfehlung zu erhalten.
Als Medienschaffender zeigst du beim Thema Islam auch Bilder von Frauen ohne Kopftuch.
Du hältst nicht alle Asiaten für zahlenaffin und fleißig.
Wenn du Nachrichten liest ist es dir egal, ob ein Täter Emigrantenkind ist, schwarz oder weiß ist.
Du sagst nicht über einen schwarzen Reporter im TV: „Das ist wohl ein Quotenschwarzer.“
Was das alles mit Rassismus zu tun?
Eine Menge.
Denn wenn wir andere Menschen, Kulturen, Hautfarben in Bezug auf uns, auf das Deutschsein ausschließen, wenn wir Menschen pauschal zu „den anderen“ erklären, wenn diese Andersartigkeit als Begründung für ihr Verhalten dient, haben wir ein Problem.
Einen Afghanen nur aufgrund seiner Herkunft verantwortlich zu machen für ein Verhalten, eine Schwarze Frau aufgrund ihrer Hautfarbe zu etwas Exotischem zu erklären ist der Kern rassistischer Diskriminierung. Wenn du aus einer Kultur, aus einer Religion Rückschlüsse auf die Eigenschaften eines Menschen ziehst hast du bereits rassistische Denkmuster.
„Othering“ nennt die Soziologie diesen Prozess, wenn andere Gruppen in Bezug auf die eigene vermeintliche Gruppe konstruiert werden, damit man deren Mitglieder aufgrund der Religion, der Hautfarbe, der Sprache – aufgrund des Anderssein – abwerten kann.
„Sie“ sind zum Beispiel unzivilisiert, rückständig und kriminell, „wir“ dagegen zivilisiert, modern und anständig.
Doch wenn Menschen nicht nach ihren individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften oder danach, was sie persönlich tun, sondern als Teil einer vermeintlich homogenen Gruppe beurteilt und diskriminiert werden, dann ist das Rassismus.
Wir müssen uns bewusst sein, wann wir andere Menschen ausgrenzen, wann wir ihnen das Gefühl geben, sie gehören nicht dazu. Es reicht nicht aus, sich über Rassismus zu wundern.
Wir alle sind mit rassistischen Denkmustern groß geworden, das sollten wir uns eingestehen. Das würde dazu führen, weniger mit der Holzkeule auf jeden zu schlagen, bei dem diese Denkmuster öffentlich hörbar werden – als ob es damit getan wäre. Wir sollten uns stattdessen mehr mit den Strukturen des Alltagsrassismus beschäftigen.
Wir haben wenig Übung darin. Meistens reagieren wir wütend, weil wir es nicht wahrhaben wollen. Weil es schmerzhaft ist, sich gewisse Dinge einzugestehen. Aber Rassismus ist in unserem System.
Man beginnt Rassismus erst zu bekämpfen, indem man ihn dort benennt, wo er auftritt. Dinge müssen ausgesprochen werden.
Doch Alltagsrassismus ist nicht immer leicht zu erkennen, er kommt oft subtil und unbedacht daher. Dass Vorurteile unbewusst geäußert werden, bedeutet aber nicht, dass sie harmlos wären. Lasst uns also unser Verhalten daran messen, wie es bei denen ankommt, die oftmals schon sehr lange mit Mustern an Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus konfrontiert sind. Nein zum Alltagsrassismus, sagt ein nachdenklicher Mounir.