LEROY VOR NOCH EIN TOR

von | Jun 29, 2021

Mehmet Scholl war ein toller Fußballer. Er konnte auch den einen oder anderen Fußballabend als Kommentator wirklich kurzweilig gestalten. Seine Fähigkeiten als Trainer zu beurteilen, fällt einem nicht ganz so einfach. Er trainierte mal die viertklassige Zweite Mannschaft des FC Bayern. In der Regionalliga landete er mit seinen Kickern auf Rang 2, verpasste damit den anvisierten Aufstieg.

Wenn man heute seinen Ausführungen über Trainer-Kollegen und Spielern lauscht, denkt man: Gut, dass der Mann den Entwicklungs- und Weiterbildungsauftrag von Fußballern in der Praxis so konsequent verweigert.

Zuletzt attackierte er Leroy Sané auf eine Art und Weise, die Respekt, Umgangsformen und Empathie komplett vermissen ließ. Er sagte: „Der Typ verfolgt uns. Er ist unser running gag.“ Die Pfiffe der Fans in München beim Spiel gegen Ungarn gegen Sané? Für Scholl kein Problem: „So wie Sané wirkt, macht es ihm nichts aus. Der geht heim, heult vielleicht kurz, dann werden die Frauen getauscht, und dann geht’s weiter.”

So wie Scholl äußerten sich viele. Der Shitstorm, der auf Sané nach dem 2:2 gegen Ungarn einprasselte, hatte es in sich.

Sich auf Kosten anderer zu profilieren ist nie eine gute Idee. Aber auch das ist ein Phänomen unserer Zeit. Viele urteilen, bewerten, richten andere in einer Art, die jede Verhältnismäßigkeit vermissen lässt. Und der Rest konsumiert, lacht, schimpft.

Je abwertender desto besser, Hauptsache, es generiert Likes, Klickzahlen.

Was das mit den Menschen macht? Egal. Ja, ein 25-jähriger junger Mann hat ein schlechtes Fußballspiel abgeliefert. Mehr ist erst einmal nicht passiert. Auch zehn andere Spieler haben nicht gerade geglänzt. Dass Sané einen Ball kurz vor Schluss besser hätte spielen müssen, dass ein Eckball schlimm war, das weiß er sicherlich selbst.

Langt das aber, einen einzelnen Menschen derart durchs Dorf zu jagen? Betroffen schauen wir drein, wenn wir irgendwann wieder lesen, welche psychischen Auswirkungen der öffentliche Druck und Umgang mit einem Fußballer macht. Doch bis dahin haut man kräftig auf die Kacke, gießt kübelweise Häme über einen Mann, der auch gegen Ungarn mit dem Ziel ins Spiel gestartet, das Allerbeste für sein Team, sein Land, seine Trainer, für sich zu erreichen.

Einen Menschen als „running gag“ zu bezeichnen, ihm charakterliche Schwächen zu unterstellen, wie es Scholl getan hat, sagt viel über die eigene Haltung aus. Doch es gibt Menschen, die genau damit Geld verdienen, weil es genügend Menschen gibt, die so etwas lesen und weiterbreiten. Es gibt also immer auch zwei Seiten. Derjenige, der etwas verkaufen will, und diejenigen die konsumieren.

Kritik ist absolut berechtigt, nur mit ihr können wir uns weiterentwickeln. Lasst uns aber aufpassen, welche Maßstäbe wir anlegen. Ich würde mir wünschen, dass diese harte und beißende Art zu richten, viel mehr auf jene gerichtet wird, die wirklich Schlimmeres getan haben, als in einem Fußballspiel nicht performt zu haben.

Ich wünsche mir, dass Leroy gegen England kurz vor Schluss das entscheidende 2:1 erzielt. Es wäre die richtige Antwort auf die vielen Verunglimpfungen der letzten Tage. Nur weil jemand viel Geld verdient und bekannt ist, gibt dies nicht das Recht, vernichtend über ihn als Menschen zu urteilen, sagt ein nachdenklicher Mounir.