IMPFDEBATTE: WARUM IMMER SO KRITISCH?

von | Jan 19, 2021

Klagen, schimpfen, kritisieren: Drei Disziplinen, die wir in diesem Land recht gut beherrschen. Unvollkommenheit, Fehler, Ungenauigkeit oder nicht ganz so gut sein wie andere halten wir in Deutschland nur schwer aus.

Der deutschen Seele wird ein Hang zu Tiefe und Schwere nachgesagt, aber schaue ich genauer hin, scheint sie auch große Sehnsucht danach zu haben, sich im Antlitz von Unperfektion scheinbar bis zur Auflösung selbst kasteien zu wollen. Oder sich im Sumpf von Negativität und Kritik zu suhlen als ob man im Einreißen und Zerstören die Kraft und Energie fürs neue Tun gewinnen würde.

Wer die öffentlichen wie privaten Diskussionen zu Beginn des Jahres in der Impfdebatte verfolgte, der musste glauben, dass das Ziel der Herdenimmunität am 10. Januar hätte erreicht sein sollen.

Was wurde im Rückblick nicht alles kritisiert: zu vorsichtig, zu sparsam, zu bürokratisch, zu langsam, zu unpatriotisch, zu solidarisch mit anderen Nationen.

Am 31. Dezember schickten Zeitungen ihre Fotografen in Impfzentren, um leere Hallen zeigen. Jede Warteschleife bei der Online-Anmeldung wurde thematisiert, jeder Arzt und Impfhelfer, der auf Impfdosen wartete, wurde interviewt.

Eine Nation von 80 Millionen Menschen zu impfen, ja, das birgt Probleme, Organisations- und Ablaufschwierigkeiten. Abgesehen von dem Umstand, dass nicht wenige es lieber mit der Krankheit probieren statt mit der Impfung.

Dennoch, die Realität ist diese: Stand Sonntagmorgen hatten wir in Deutschland mehr geimpfte Personen als in Polen, Slowakei, Österreich, Portugal oder Ungarn (Zahlen des ZDF).
Die Schweden, Finnen, Norweger, Türken, Russen oder Schweizer hinkten mit noch mehr Abstand hinterher. Wir hatten doppelt so viel Geimpfte wie Frankreich, dreimal so viele wie Belgien, viermal so viele wie Holland.

„Wow“ könnte man sagen. Man kann aber auch nur danach schauen, was nicht funktioniert, dorthin schauen, wo es noch besser funktioniert. Damit lassen sich ja auch bessere Schlagzeilen verkaufen.

Leute! Anfang 2020 waren sich alle Experten einig, dass es bis zu 18 Monaten dauern könnte bis ein Impfstoff auf den Markt kommt.

Im März 2020 war sich das Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung des Impfstoffs in Deutschland zuständig ist, sicher, dass „selbst bei höchster Geschwindigkeit und positiven Ergebnissen in der Forschung frühestens im Frühjahr 2021 ein Impfstoff gegen das Coronavirus und damit die Lungenkrankheit Covid-19 bereit steht“. Und RKI-Präsident Lothar Wieler sagte damals: „Ich persönlich schätze es als realistisch ein, dass der Impfstoff im Frühjahr 2021 da sein wird.“

Ist es nicht außergewöhnlich und toll, dass wir die Zulassung schon am 29. Dezember vorliegen hatten (ja, keine Notfallzulassung, weil eben Sicherheit vor Schnelligkeit ging)!

Wir könnten uns darüber freuen, dass wir das Ziel, nämlich Ende des Sommers 60 Prozent der Bevölkerung geimpft zu haben, vielleicht erreichen und nicht erst im Sommer mit dem Impfen starten!

Seien wir doch alle ein wenig nachsichtiger bei all dem, was gerade um uns herum passiert. Jeder Weg, der aktuell von der Politik und der Gesellschaft gegangen wird, ist ein unbekannter, ein neuer, einer, der voll mit unbekannten Ereignissen und Einflüssen versehen ist. Da gilt es geduldig zu sein und vor allem das anzuerkennen, was positiv ist.

Auch ich möchte so schnell es geht geimpft sein, mein 75-jähriger Vater, meine 78-jährige Schwiegermama, mein 80-jähriger Schwiegervater sowieso. Aber lasst uns die Ruhe bewahren, wenn das System nicht ganz so perfekt funktioniert. Das Impfprogramm ist ein Marathon. Der Zieleinlauf ist wichtig, nicht die Wertung bei Kilometer eins.

Also lasst uns üben, die Dinge positiver zu sehen, sagt ein nachdenklicher Mounir.