Eine Frage des Respekts
Irgendetwas bleibt gerade auf der Strecke.
In der Auseinandersetzung. In dem Umgang. In dem Miteinander.
Draußen auf den Straßen, in der Bahn, beim Bäcker, in den Parks sehe ich immer öfter, wie Menschen ohne Rücksicht, ohne Achtung und Wertschätzung reden, gestikulieren und agieren.
Wir erschrecken uns immer mehr, wenn wir in den Nachrichten sehen, welche Hemmschwellen mittlerweile überschritten werden; doch wir können es ja selbst täglich, in unserem direkten Umfeld, aber auch in den sozialen Netzwerken beobachten, wie die Schranken fallen.
Wie kann es sein, dass Politiker, die von uns gewählt wurden (egal ob von mir oder anderen) bespuckt und beschimpft werden?
Wie kann es sein, dass Sanitäter bei ihrer Arbeit behindert werden?
Wie kann es sein, dass Polizisten hinterrücks angegriffen werden?
Wie kann es sein, dass Journalisten wie Freiwild angegangen werden?
Wie kann es sein, dass Menschen ohne Masken die Gesundheit anderer gefährden?
Wie kann es sein, dass eine Institution wie der Reichstag missachtet wird?
Das Problem: Wenn ich anfange, mich über andere zu erheben, wenn ich beginne, Menschen aufgrund ihrer Meinung, ihres Status, ihrer Hautfarbe abzuwerten, greife ich die Stützpfeiler an, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.
Wir dürfen nicht die Achtung voreinander verlieren, doch das geht nur, wenn wir uns gegenseitig als gleichwertige Wesen betrachten.
Respekt ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.
Dabei sind wir auch Vorbilder. Wundern wir uns darüber, dass gefühlt eine Generation heranwächst, die kaum noch Respekt an den Tag legt? Wenn es so ist, dann lasst uns fragen, warum das so ist? Das hat eine Menge mit denen zu tun, die eigentlich mit einem guten Beispiel vorangehen sollten!
Doch Respekt ist nicht da, weil wir ihn einfordern, sondern er sollte da sein, weil man selbst erkennt, dass dies die richtige Einstellung zu anderen Menschen ist.
Respekt hat demnach auch viel damit zu tun, dass man über sich selbst etwas gelernt hat. Dass man Dinge richtig einschätzen kann, dass man reflektiert und mit einem offenen Herzen durch die Welt geht.
Wenn jemand ein Schreckensregime wie das der Nazis erneuern will und das kundtut, fällt es schwer daran zu glauben, dass diese Frau oder dieser Mann der Meinung ist, dass alle Menschen das gleiche Recht auf dieser Erde haben.
Wenn jemand keine Maske tragen will, fällt es schwer daran zu glauben, dass die- oder derjenige der Meinung ist, dass andere es wert sind, dass man nicht deren Leben aufs Spiel setzt.
Wenn jemand im Netz Politiker beschimpft fällt es schwer, daran zu glauben, dass dieser den Menschen dahinter sieht und respektiert.
Ich höre mir gern die unterschiedlichsten Meinungen an, solange ich das Gefühl habe, dass niemand sich über einen anderen Menschen stellt, sei es der Nachbar, der Flüchtling oder der Innenminister.
Im Alltag gelingt das nicht immer. Mir auch nicht. Zuletzt hatte ich einen respektlosen Ton gegenüber dem Hausmeister des Studentenwohnheimes meiner Tochter gehabt. Es ging um die Kaution. Trotz der Meinungsverschiedenheit (und ich fühlte mich total im Recht) merkte ich, dass ich ihn mit meiner Art und meinem Ton als Mensch abgewertet hatte und entschuldigte mich am Ende dafür. Er nahm das an. Immerhin.
Respekt ist ein großes Wort, also lasst es uns mit Worten und Taten füllen. Menschen, die ohne Achtung und Wertschätzung für andere durchs Leben gehen, sollten wir sagen, was sie da gerade tun. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der wir trotz großer inhaltlicher Auseinandersetzung respektvoll miteinander umgehen. Dazu gehört es auch, klare Grenzen zu setzen.
Das, was am letzten Wochenende in Berlin passiert ist, hat eine Menge mit Respektlosigkeit, Ressentiments und Verachtung zu tun. Doch dies hat seine Quellen im Alltag. Also lasst uns wieder anfangen, gerade in den alltäglichen und beiläufigen Situationen, mit Respekt und Achtung zu begegnen. Und dazu gehört es auch, die Respektlosigkeit dort zu benennen, wo wir sie sehen und erleben, sagt ein nachdenklicher Mounir.