EIN HOCH AUF DAS HERZ

von | Okt 26, 2021

Vor kaum etwas anderem hat der Mensch so große Angst wie vor dem Herzen. Viele trauen ihm nicht. Es macht, was es will, deshalb muss man es ja auch unter Kontrolle halten.

Flausen, Duselei, Gespinste, Wallungen – wir haben viele abwertenden Worte für die herzlichen Gefühle, da ist vielen doch der Verstand 1000mal lieber.

Der Verstand hat Argumente, die wir kennen, seit wir klein sind.
Er produziert Urteile am laufenden Band, so dass wir immer mit Sicherheit sagen können, was falsch und was richtig ist. Er beschließt und öffnet nicht.
Der Verstand mag keine Open-end-parties, sondern nur geschlossene Gesellschaften.

Dank unseres Verstandes haben wir gelernt, Menschen, die ihren Gefühlen und Leidenschaften folgen, kleinzumachen und zu bekämpfen.

Schule und Religionen sorgen seit jeher dafür, dass sich Menschen und Bürger der breiten Masse der „Verstandesmenschen“ anschließen. Ja kein Risiko, ja keine Unwägbarkeit, ja kein Ausscheren. Spaß, Freude, Sexualität, sich ausleben, seine Grenzen kennenlernen, Widerspruch üben, andere Lebenskonzepte gestalten und fördern – all das birgt Gefahren.

„Du sollst doch was werden!“

„Was sollen die Leute denken?“

„Das ist irrational!“

„Benimm dich!“

„Sei vernünftig!“

Was in unserer Welt alles vernünftig ist: auf seine Träume zu verzichten, dass zu tun, was die Eltern dir sagen, Karriere zu machen, Geld zu verdienen, nicht zu wissen, wann du das letzte Mal stolz oder glücklich warst.

Der breite Strom der Masse zieht in die gleiche Richtung und wehe, du schließt dich ihr nicht an, wehe du stellst Konformitäten in Frage, wehe, du willst anders leben, lieben oder arbeiten. Die Masse glaubt ein Ziel zu sehen, doch sie kommt nie an.

Es kann einsam werden um Menschen, die das tun, was ihr Herz ihnen sagt. Menschen, die sich anders anziehen, anders verhalten, anders reden, machen vielen anderen Angst. Wo kommen wir auch hin, wenn alle so fühlen würden? Es gibt keinen Plan, keine Anleitung für den Weg des Herzens. Nur das Leben, prall, erkenntnisreich, mit Tiefen, Höhen. Werde der, der du bist, schrieb Friedrich Nietzsche mal. Doch dafür muss man irgendwann losgehen.

Die große Anziehungskraft von Filmen, in denen Menschen dem Ruf ihres Herzens folgen liegt wahrscheinlich genau darin begründet: es ist die reinste Projektion. Menschen bewundern gerade noch die Buch- und Filmhelden für ihren Mut, ihren Nonkonformismus und ihren Drang, das zu leben, was sie tief in sich spüren und im nächsten Augenblick regen sie sich auf, wenn sie hören, dass der eigene Sohn Maler statt Anwalt werden will oder die eigene Tochter mit einem Kolumbianer in Medellin leben will.

Menschen, die ihrer Leidenschaft den Vorrang vor Vernunftdenken sind anderen unheimlich. Sie sind nicht kontrollierbar, nicht einzuschätzen. Dabei wissen wir doch: Die ganz großen Dinge im Leben gelingen nur mit dem Herzen, mit der ganz tiefen Leidenschaft.

Wann bist du das letzte Mal deinem Herzen gefolgt? Lasst uns genauer hinschauen, wenn der Verstand mal wieder die Dinge regeln will, denn die Kraft, Wonne und Quintessenz des Lebens liegt jenseits davon, sagt ein nachdenklicher Mounir.