BEFREIE DEN KOPF
Zwei Monate Social-Media-Lockdown liegen hinter mir.
Und?
Ich lebe immer noch.
Ja, es war eine Umstellung. An wundervollen Orten zu sein, schöne Motive und Stimmungen nicht per Mausklick der Welt, den Freunden mitzuteilen, das fühlte sich zunächst einmal komisch an. Mir wurde klar, wie oft auch ich mit den Blick der anderen auf meine gegenwärtige Szenerie schaute.
Bei anderen fällt uns das ja meist öfters auf als bei uns selbst: Du bist an einem schönen Ort, Menschen kommen und bevor sie sich nieder- und einlassen wird erst einmal fotografiert, gepostet, gechattet. Auch das kennen wir. Als ob das eigene Erleben, Fühlen dadurch spürbarer wird, indem es auch andere sehen, teilen, bewerten.
Doch wie anders ist das Gefühl, wenn du allein mit diesem Gefühl bleibst oder es eben nur mit Partner/Freunden vor Ort teilst … Nicht abgelenkt sein, nur im Hier und Jetzt spüren, was ist.
Wer den sozialen Kanälen fernbleibt, merkt außerdem: Ereignisse verlieren an Aufgeregtheit. Gedanken beschäftigen sich mit dem, womit sie gefüttert werden.
Wenn Dinge da draußen passieren, egal ob es nun um einen Skandal, einen Erfolg, ein Missgeschick oder eine Nachricht geht, ist es das eine. Wenn diese Dinge in unserer Social-Media-Blase aber hundertfach, ja tausendfach, kommentiert, geteilt, geliked oder disliked werden und wir das genauso konsumieren, erhalten wir den Eindruck als drehe sich die ganze Welt um dieses singuläre Ereignis.
Die Distanzierung fällt dann schwer, wir fühlen uns ganz gefangen von den Gedanken dazu und die sind oftmals nicht positiv, sondern im Gegenteil belastend, bedrängend und beängstigend. Befreien wir uns von diesen Gedanken, dann fühlen wir mehr Leichtigkeit. Diese Erfahrung habe ich in den letzten zwei Monaten definitiv gemacht.
Dass die Stimmung aktuell nicht wirklich gut ist in unserem Land hat auch mit dem Schneeball-Effekt der Empörungslawine zu tun, die täglich durch die sozialen Kanälen rauscht.
Ein Wettbewerb des Draufhauens, Beleidigens und Runtermachens.
Es muss ja Schuldige für den ganzen „Scheiß“ geben. Deutsche Politiker sind „Versager“, „Nullnummern“, „Nichtskönner“. Morddrohungen gegen Kanzlerin und Gesundheitsminister, gegen Lauterbach und Drosten sind an der Tagesordnung. Haltung: Die sind selbst schuld. Und was ist, wenn irgendwann dann doch ein Irrer losmarschiert und „die Dinge selbst in die Hand nimmt“, wie manche Querdenker und Verschwörungsideologen fordern… Was werden wir dann alle sagen und denken?
Was ist passiert in den letzten Wochen? Unser Land ist in der Impftabelle nicht ganz oben. Ja, das stimmt. Dort stehen Israel, Großbritannien und die USA. Dafür gibt es Gründe (frühere Zulassung, mehr Geld, keine Abstimmung mit anderen Ländern).
Auf der anderen Seite steht Deutschland mit seiner Impfquote genau da, wo sich auch Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, Schweiz, Schweden, Finnland, Norwegen, Tschechien, und viele andere befinden. Länder wie Niederlande, Luxemburg, Argentinien, Russland, Australien, China oder Korea haben wir sogar abgehängt. Gefühlt sind wir aber gerade die letzten der Letzten, quasi die Paria der Impfwilligen.
Viele beschweren sich darüber, dass uns Deutschen angesichts der Pandemie nicht mehr einfalle als ein Lockdown. Aber seht nach Großbritannien, wo die Menschen über zwei Monate zu Hause bleiben mussten und den härtesten Lockdown der Welt hatten, Frankreich, das seit Anfang Januar für einen Großteil der Bevölkerung Ausgangssperren vorsieht, Österreich, das anders als wir, einen harten Lockdown über Ostern beschlossen hat, Belgien, das mit drastischen Maßnahmen in den 3. Lockdown geht, Italien, wo der Lockdown für weite Teile des Landes bis Ende April gilt, etc, etc…. Auch andere Länder tun sich also schwer….
Als Ende Januar Christian Drosten warnte, die Situation könne sich verschlimmern und man müsse weiterhin rigide sein, um eine dritte Welle zu verhindern, wurde er in der Öffentlichkeit angesichts fallender Zahlen belächelt. Eventuelle neue Reisebeschränkungen wie sie damals in Finnland oder Norwegen eingeführt wurden oder gar strikte Ausgangsbeschränkungen wie in Frankreich, Portugal oder Italien wurden damals nicht nur von der FDP als Regierungsversagen betitelt. Heute sagen plötzlich viele, hätten wir doch einfach Im Februar einen harten Lockdown gemacht, dann hätten wir heute die hohen Zahlen nicht. Ja, was denn nun?
Viele Menschen bewerten aktuelle Entwicklungen allein vom Ergebnis her, vergegenwärtigen sich nicht die Ausgangsposition, als Entscheidungen getroffen werden mussten. Wenn die EU mit Astra Zeneca einen Vertrag über 400 Millionen Impfdosen abschließt, sagen viele „klasse“. Wenn diese schriftlich erteilte Zusage plötzlich widerrufen wird und nur noch von 30 Millionen gesprochen wird, sagen genau die gleichen: Ja, da hätte man sich absichern müssen.
So funktioniert das Leben doch nicht. Entwicklungen im Nachhinein als ersichtlich und logisch zu bezeichnen macht noch nicht mal mehr in der Sportberichterstattung Sinn. Ja, wir hätten gerne für alle unsere Lebenssituationen immer genau die richtige und funktionierende Entscheidung, aber die Sicherheit dafür wird es niemals geben. Wir müssen uns ausprobieren, sehen, was geht und was nicht geht und angesichts neuer Erkenntnisse und Ereignisse Schlussfolgerungen daraus ziehen, um nächste Schritte planen. Das fällt uns enorm schwer, weil wir Irrtümer, Fehler nicht gerne als das erkennen, was sie auch sind: Weghelfer auf dem Weg zur Lösung.
Was im Umgang helfen würde ist Vertrauen. Zu uns. Zu anderen. Aber das hat seine Tücken. Denn wenn Dinge angekündigt und versprochen werden und sie nicht eingehalten werden, sorgt das für einen nachvollziehbaren Vertrauensverlust. Wenn wir uns aber einfach nur jemanden wünschen, der alles wieder gut werden lässt, der die Lösung parat hat und uns über den Kopf streichelt, dann hat das im Falle der Nichterfüllung mit einer enttäuschten Erwartungshaltung zu tun und nicht mit einem Vertrauensproblem. Das zu wissen hilft, wenn „Vati“ oder „Mutti“ an ihre Grenzen kommen, sagt ein nachdenklicher Mounir.
Und?
Ich lebe immer noch.
Ja, es war eine Umstellung. An wundervollen Orten zu sein, schöne Motive und Stimmungen nicht per Mausklick der Welt, den Freunden mitzuteilen, das fühlte sich zunächst einmal komisch an. Mir wurde klar, wie oft auch ich mit den Blick der anderen auf meine gegenwärtige Szenerie schaute.
Bei anderen fällt uns das ja meist öfters auf als bei uns selbst: Du bist an einem schönen Ort, Menschen kommen und bevor sie sich nieder- und einlassen wird erst einmal fotografiert, gepostet, gechattet. Auch das kennen wir. Als ob das eigene Erleben, Fühlen dadurch spürbarer wird, indem es auch andere sehen, teilen, bewerten.
Doch wie anders ist das Gefühl, wenn du allein mit diesem Gefühl bleibst oder es eben nur mit Partner/Freunden vor Ort teilst … Nicht abgelenkt sein, nur im Hier und Jetzt spüren, was ist.
Wer den sozialen Kanälen fernbleibt, merkt außerdem: Ereignisse verlieren an Aufgeregtheit. Gedanken beschäftigen sich mit dem, womit sie gefüttert werden.
Wenn Dinge da draußen passieren, egal ob es nun um einen Skandal, einen Erfolg, ein Missgeschick oder eine Nachricht geht, ist es das eine. Wenn diese Dinge in unserer Social-Media-Blase aber hundertfach, ja tausendfach, kommentiert, geteilt, geliked oder disliked werden und wir das genauso konsumieren, erhalten wir den Eindruck als drehe sich die ganze Welt um dieses singuläre Ereignis.
Die Distanzierung fällt dann schwer, wir fühlen uns ganz gefangen von den Gedanken dazu und die sind oftmals nicht positiv, sondern im Gegenteil belastend, bedrängend und beängstigend. Befreien wir uns von diesen Gedanken, dann fühlen wir mehr Leichtigkeit. Diese Erfahrung habe ich in den letzten zwei Monaten definitiv gemacht.
Dass die Stimmung aktuell nicht wirklich gut ist in unserem Land hat auch mit dem Schneeball-Effekt der Empörungslawine zu tun, die täglich durch die sozialen Kanälen rauscht.
Ein Wettbewerb des Draufhauens, Beleidigens und Runtermachens.
Es muss ja Schuldige für den ganzen „Scheiß“ geben. Deutsche Politiker sind „Versager“, „Nullnummern“, „Nichtskönner“. Morddrohungen gegen Kanzlerin und Gesundheitsminister, gegen Lauterbach und Drosten sind an der Tagesordnung. Haltung: Die sind selbst schuld. Und was ist, wenn irgendwann dann doch ein Irrer losmarschiert und „die Dinge selbst in die Hand nimmt“, wie manche Querdenker und Verschwörungsideologen fordern… Was werden wir dann alle sagen und denken?
Was ist passiert in den letzten Wochen? Unser Land ist in der Impftabelle nicht ganz oben. Ja, das stimmt. Dort stehen Israel, Großbritannien und die USA. Dafür gibt es Gründe (frühere Zulassung, mehr Geld, keine Abstimmung mit anderen Ländern).
Auf der anderen Seite steht Deutschland mit seiner Impfquote genau da, wo sich auch Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, Schweiz, Schweden, Finnland, Norwegen, Tschechien, und viele andere befinden. Länder wie Niederlande, Luxemburg, Argentinien, Russland, Australien, China oder Korea haben wir sogar abgehängt. Gefühlt sind wir aber gerade die letzten der Letzten, quasi die Paria der Impfwilligen.
Viele beschweren sich darüber, dass uns Deutschen angesichts der Pandemie nicht mehr einfalle als ein Lockdown. Aber seht nach Großbritannien, wo die Menschen über zwei Monate zu Hause bleiben mussten und den härtesten Lockdown der Welt hatten, Frankreich, das seit Anfang Januar für einen Großteil der Bevölkerung Ausgangssperren vorsieht, Österreich, das anders als wir, einen harten Lockdown über Ostern beschlossen hat, Belgien, das mit drastischen Maßnahmen in den 3. Lockdown geht, Italien, wo der Lockdown für weite Teile des Landes bis Ende April gilt, etc, etc…. Auch andere Länder tun sich also schwer….
Als Ende Januar Christian Drosten warnte, die Situation könne sich verschlimmern und man müsse weiterhin rigide sein, um eine dritte Welle zu verhindern, wurde er in der Öffentlichkeit angesichts fallender Zahlen belächelt. Eventuelle neue Reisebeschränkungen wie sie damals in Finnland oder Norwegen eingeführt wurden oder gar strikte Ausgangsbeschränkungen wie in Frankreich, Portugal oder Italien wurden damals nicht nur von der FDP als Regierungsversagen betitelt. Heute sagen plötzlich viele, hätten wir doch einfach Im Februar einen harten Lockdown gemacht, dann hätten wir heute die hohen Zahlen nicht. Ja, was denn nun?
Viele Menschen bewerten aktuelle Entwicklungen allein vom Ergebnis her, vergegenwärtigen sich nicht die Ausgangsposition, als Entscheidungen getroffen werden mussten. Wenn die EU mit Astra Zeneca einen Vertrag über 400 Millionen Impfdosen abschließt, sagen viele „klasse“. Wenn diese schriftlich erteilte Zusage plötzlich widerrufen wird und nur noch von 30 Millionen gesprochen wird, sagen genau die gleichen: Ja, da hätte man sich absichern müssen.
So funktioniert das Leben doch nicht. Entwicklungen im Nachhinein als ersichtlich und logisch zu bezeichnen macht noch nicht mal mehr in der Sportberichterstattung Sinn. Ja, wir hätten gerne für alle unsere Lebenssituationen immer genau die richtige und funktionierende Entscheidung, aber die Sicherheit dafür wird es niemals geben. Wir müssen uns ausprobieren, sehen, was geht und was nicht geht und angesichts neuer Erkenntnisse und Ereignisse Schlussfolgerungen daraus ziehen, um nächste Schritte planen. Das fällt uns enorm schwer, weil wir Irrtümer, Fehler nicht gerne als das erkennen, was sie auch sind: Weghelfer auf dem Weg zur Lösung.
Was im Umgang helfen würde ist Vertrauen. Zu uns. Zu anderen. Aber das hat seine Tücken. Denn wenn Dinge angekündigt und versprochen werden und sie nicht eingehalten werden, sorgt das für einen nachvollziehbaren Vertrauensverlust. Wenn wir uns aber einfach nur jemanden wünschen, der alles wieder gut werden lässt, der die Lösung parat hat und uns über den Kopf streichelt, dann hat das im Falle der Nichterfüllung mit einer enttäuschten Erwartungshaltung zu tun und nicht mit einem Vertrauensproblem. Das zu wissen hilft, wenn „Vati“ oder „Mutti“ an ihre Grenzen kommen, sagt ein nachdenklicher Mounir.