Über die Klimaveränderung
Es gab eine Zeit, da waren wir stolz auf unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Welt zu vermessen, zu verstehen, zu erklären, das trieb die Menschheit an und sorgte für eine aufklärerische Geisteshaltung. Alles wurde auf Basis der Wissenschaft hinterfragt, ja, die Wissenschaft wurde zur neuen Königin der Weltordnung, der sich alle unterwerfen wollten und sollten. Sie fegte Tabus hinweg, sie schuf Licht in den dunkelsten Ecken unserer Kultur.
Und heute? Manchmal scheint es, als müssten sich Menschen für ihre jahrzehntelangen Studien entschuldigen. Fakten werden ignoriert, sie werden gehört, aber der Wissenschaft wird nicht mehr getraut.
Menschen, die ein, zwei Artikel gelesen haben, die drei, vier Videos auf Youtube gesehen haben, halten sich für die neuen Gelehrten unserer Zeit. Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, Skeptizismus ist die neue Währung, mit der sich wunderbar auf den sozialen Kanälen bezahlen lässt.
Professoren, Doktoren, Studien, wissenschaftlich fundierte Vorhersagen – was zählt das, wenn ich einfach nichts mehr glauben will? Diese Menschen wissen genau, was getan werden muss – bei dem Umgang mit Atomkraftwerken, bezüglich der Eisschmelze in der Arktis, beim steigenden Weltmeerspiegel, dem Artensterben, der Erderwärmung. Je komplizierter desto einfacher die Lösungen. Hauptsache ich muss keine Veränderungen in kauf nehmen. Die Welt ist so kompliziert, dann mache ich sie mir so wie ich will.
Schauen wir auf die Fakten:
- Die Welt wird so warm wie wir es in der modernen Menschheitsgeschichte noch nie erlebt haben.
- Neun von zehn Wissenschaftler sagen, dass der Klimawandel von uns Menschen gemacht ist, durch die Treibhausgase (Co2-Ausstoß).
- Das Eis schmilzt rapide, der Meeresspiegel steigt, Ozeane versauern.
- Das Wetter wird zerstörerischer.
Die Folgen: Dürre- und Hitzeperioden nehmen auch in Deutschland rapide zu, Hochwasser, Stürme und Überschwemmungen richten Verwüstungen an. In Deutschland und weltweit. Allein die jüngste Überschwemmung in Pakistan kostet etwa 40 Milliarden Dollar. Die Folgen für die biologische Vielfalt und das Ökosystem sind zudem dramatisch. Tier- und Pflanzenarten sind bedroht oder bereits ausgestorben. Meeres- uns Küstenökosystem sind dabei zu kippen. Die extremen Wetterverhältnisse sind riskant für die Menschen, besonders in Großstädten. Allein 2019 sind 20 000 Menschen in Deutschland in Verbindung mit der Hitze verstorben. Die Ernteerträge sind schwerer zu sichern, und das weltweit. Menschen werden ihre Heimat verlassen müssen, weil die klimatischen Verhältnisse die Lebensgrundlage zerstören.
Das alles kann beherrschbar bleiben, wenn sich die globale Durchschnittstemperatur um maximal 1,5 Grad erhöht. Sagt die Wissenschaft.
Deutschland hat sich deshalb das Ziel gesetzt, seine Treibhausemissionen im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent zu senken. Aktuell stoßen wir immer noch doppelt so viel Co2 aus, wie es eigentlich angestrebt wird.
Deshalb betonte die UN im Oktober erneut, dass die Welt weit davon entfernt sei, die Klima-Ziele zu erreichen. Der Appell der UN: „Nationale Regierungen MÜSSEN ihre Aktionspläne verstärken, um sie bis 2030 umzusetzen.“
Alle Experten, also Wissenschaftler, die sich seit Jahren mit Themen wie Klimaveränderung beschäftigen, sagen: Es braucht ein sofortiges Umdenken – auf allen Ebenen.
Die Fakten sind also da, aber sie interessieren nur wenige. Es ist so als rase ein Auto auf eine Schlucht zu und die Insassen wollen keine Vollbremsung machen, weil sie das Auto nicht beschädigen wollen. Von dieser Haltung ist der offizielle Diskurs geprägt. „Mal schön langsam“, „so schlimm ist das alles nicht“. Abrupte Veränderungen, Einschnitte sind schwer zu ertragen. Aber wir brauchen tatsächlich ein Umdenken und sofortiges Handeln. Das sage nicht ich, sondern die Wissenschaft!
Nun gibt es junge Leute in Deutschland, in Europa, die an der Gelichgültigkeit der Gesellschaft verzweifeln. Sie kleben sich an Straßen, Geländern fest, bewerfen gepanzerte Gemälde mit Suppen oder treten in den Hungerstreik. Sie dringen unerlaubt aus Flughäfen ein und sorgen für erdbebenartige Reaktionen in unserer Gesellschaft. „Antidemokraten“, „Klima-Terroristen“ oder „Klima-RAF“ werden diese Aktivisten genannt. Vom Staat werden sie als „kriminelle Vereinigung“ behandelt. Sie kommen präventiv für 30 Tage ins Gefängnis, es gibt Razzien in Wohnungen und Häusern, weil der Staat diese Protestform, bei die Freiheit anderer eingeschränkt wird und manches Mal auch Sicherheitsgefährdungen im Raume stehen, nicht tolerieren will.
Die Mehrheit in diesem Land findet das gut. Denn die Mehrheit in diesem Land ist noch nicht so weit, den Druck auf die Regierung zu erhöhen.
Um die Forderung der jungen Bewegung geht es nicht: Tempolimit von 100 Stundenkilometer auf Autobahnen?
Wir könnten damit pro Jahr 5,4 Millionen Tonnen CO2 einsparen – jährlich! Dazu 3,7 Milliarden Liter Treibstoff, was angesichts der Energiekrise irgendwie Sinn machen könnte. Wir hätten wahrscheinlich auch weniger Unfälle, auch wenn hierfür Studien noch fehlen.
Aber dafür gibt es keine Mehrheit. Und wenn Bürger im Stau stehen, den Flieger verpassen oder ihr Lieblingsmuseum nicht besuchen dürfen wegen Aktionen der Aktivisten, dann wird der Zuspruch auch nicht steigen. Insofern ist der Protest vielleicht nachvollziehbar aber nicht zielführend. Mit Radikalität werden sie keine Unterstützung in der Bevölkerung finden. Andererseits sollte die Gesellschaft das Ansinnen, was hinter den Aktionen steckt, erkennen.
Es muss was passieren, sagt die Wissenschaft. Wie schnell, auf welche Art, das liegt in unseren Händen. Doch Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, deshalb braucht jedes System die Zeit, die es braucht, um Veränderungen anzugehen. Ich hoffe, dass es nicht zu spät sein wird.